Sonntag, 19. August 2012

Das Paradies im Regen und eine Entscheidung

´Denn ich weiß genau, welche Pläne ich für euch gefasst habe´, spricht der Herr. `Mein Plan ist, euch Heil zu geben und kein Leid. Ich gebe euch Zukunft und Hoffnung.´
Jeremia 29, 11
Seit meiner letzten Wasserstandsmeldung ist nun schon einige Zeit vergangen. Viel ist passiert und mir fällt es schwer, euch von Allem zu berichten. Wo fängt man an, eine völlig neue Umgebung zu beschreiben, völlig neue Umstände? Welche Ereignisse sind wirklich wichtig und welche nicht?

Letzte Woche Samstag, den 11.08. sind unsere Vorvolontäre Jonas, Joachim und Lucas wieder zurück nach Deutschland geflogen. Am Freitag davor gab es für die Drei noch eine Abschiedsparty bei AI´M, der Jugendgruppe die sie gegründet haben und in der wir jetzt auch mitarbeiten. Der Abend war sehr lustig, interessant und natürlich auch ein bisschen tränenreich. Ich hoffe, uns bereitet man dann in einem Jahr auch so einen schönen Abschied. Am Samstag waren wir dann auch am Flughafen dabei, mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch. Einerseits war es natürlich schade, dass die drei nun den Rückweg antraten und wir uns keine hilfreichen Ratschläge mehr abholen konnten, andererseits freuten wir uns auch darauf,  auf uns allein gestellt unsere eigenen Erfahrungen zu machen.

Logo der ACJ (facebook.com/YMCABogota)
Die folgende, also diese Woche war geprägt von der Suche. Wir suchen das Projekt aus, in dem Christoph und ich arbeiten werden. Hier in Bogotá hat die ACJ mehr als 15 Projekte, in unterschiedlichen Vierteln, die sich meist auf sozial benachteiligte Jugendliche und vor allem auch Kinder konzentrieren. Bei allen Unterschieden, die sich aus den verschiedenen Lebenssituationen der Kinder und den Problemfeldern in den einzelnen Teilen der Stadt ergeben, haben die Programme doch fast alle eines gemeinsam: Das Ziel ist es, die Leben der Kinder und auch der Familien zu verändern. Entsprechend ist der Wahlspruch der ACJ hier in Bogota "Tranformamos vidas" - Verwandeln wir Leben. In den meisten Projekten durchlaufen die betreuten Kinder einen Prozess von einem halben bis zu einem Jahr, aufgeteilt in vier Phasen, endend mit dem Schritt der Unabhängigkeit. Wichtig ist, dass ganzheitlich gearbeitet wird: Versucht wird auch, die Familien über Besuche von Sozialarbeitern einzubinden und über administrative Zusammenarbeit mit den Behörden und anderen Organiationen die Entwicklung im Viertel - im "barrio" - positiv zu verändern.

Vor dem Projekt in Juan Rey
Wir haben in dieser Woche verschiedene Projekte besucht, die mehr oder weniger nach diesem Prinzip arbeiten. Ich will euch zunächst von einem Projekt berichten, das wir am Dienstag kennengelernt haben. Es heißt "Hogar Encuentro" (übersetzt etwa "Heim des Kennenlernens") und befindet sich im Viertel Juan Rey. Dieser Teil der Stadt ist erstens einer der ärmsten in Bogotá und zweitens, direkt damit zusammenhängend, sehr hoch gelegen - daher regnet es sehr oft und es ist ziemlich kalt - und schlecht zu erreichen. Die Bewohnen hier haben Probleme, an Trinkwasser zu gelangen und Strom gibt es auch nicht immer. Dennoch, und das beeindruckte mich sehr, sind die Menschen und auch die Kinder im Projekt sehr freundlich und lebensfroh. Clarita, eine Mitarbeiterin unserer Chefin Aguines in der ACJ, hat lange Jahre in diesem Projekt gearbeitet. Kaum jemanden zieht es in diesen kalten und ärmlichen Teil der Metropole, aber für sie ist es "ihr Paradies" - das Paradies im Regen. Ich will euch ein paar Eindrücke wiedergeben, die ich dort gemacht habe.

Durch enge, verwinkelte Straßenzüge des Viertels Juan Rey schiebt sich der Kleinbus. Je höher wir kommen, desto ärmlicher wirkt die Umgebung. Und dennoch, die Menschen wirken nicht traurig, es herrscht eher eine lebendige Athmosphäre. Nur langsam kommen wir über die holprigen Straßen voran. Man nennt Bogotá auch "la luna" - den Mond. Beim nächsten Schlagloch kann ich das nachvollziehen. Schließlich endet die asphaltierte Straße und wir steigen aus - Christoph, Hal - ein Volontär der ACJ, der das Projekt heute auch besucht -, eine Mitarbeiterin des Programms, die uns zum Projekt begleitet, und ich. Sofort merkt man die Höhenluft auf 3000 Metern, es nieselt leicht und es ist kälter als unten im Zentrum. Der Atem kondensiert hier, als wäre es Winter in Deutschland.
Dann betreten wir das Projekt und die Kälte ist auf einen Schlag vergessen. Etwa 20 lebhafte, fröhliche und ziemlich neugierige Kinder begrüßen uns mit einem Lied und wollen dann sofort alles wissen: Wie heißt du? Wie alt bist du? Warum seid ihr denn so groß? Gibt es in Deutschland auch Berge? Und wo liegt das eigentlich, Deutschland? Natürlich auch sehr wichtig und hier in Kolumbien eine oft gestellte Frage: "Tienes una novia" - Hast du eine Freundin? Beim Mittagessen kommen wir auch mit den Mitarbeitern ins Gespräch und ich merke, dass hier eine ziemlich herzliche, familiäre Athmosphäre herrscht. Wichtig ist dem Team auch geistliche Nahrung, nach dem Essen gibt es eine kurze Andacht.
Bevor wir gehen, machen wir noch eine kleinen Ausflug. Ein paar Straßen weiter endet die Bebauung und wir schleppen uns keuchend einen kleinen Gipfel hinauf. Aber die Anstrengung lohnt sich: Vor uns breitet sich das Panorama einer riesigen Stadt aus - Bogotá. Wie die Ameisen haben sich die Menschen von der Hochebene immer weiter auf die Berghänge ausgebreitet. Und über allem liegt der Smog der Großstadt. Doch hier oben kann man durchatmen und ein wenig die Natur genießen. Schließlich geht es wieder hinunter ins einigermaßen warme Haus und wir müssen uns von den Kindern verabschieden. Wieder steigen wieder in den überfüllten Bus und werden schließlich vom staubigen Stadtinneren verschluckt. Aber wir waren für einen Tag in Juan Rey          - das Paradies im Regen.
Wenn ihr Fotos aus dem Projekt und von der Aussicht auf die Stadt sehen wollt, schaut mal auf der Galerie vorbei.  Leider haben wir später erfahren, dass wir nicht in diesem Projekt mitarbeiten werden, weil wir in zwei anderen Projekten dringender gebraucht werden:
"Maranatha" im Viertel Bosa und "Yo amo la vida" (übersetzt "Ich liebe das Leben") in Cazuca.

Christoph und Carlos, der Chef von "Maranatha", in Bosa
Diese beiden Projekte haben wir diesen Freitag und Samstag, also gestern besucht. Beide Viertel, Bosa und Cazuca, sind ärmlich und es gibt viele Probleme, unter anderen Kriminalität, Drogenhandel und -konsum und fehlende Versorgung mit Trinkwasser und medizinischer Behandlung. In Bosa arbeiten außerdem viele Erwachsene und auch Kinder mit Chemikalien beim Waschen von Kartoffelsäcken für die Geschäfte. Das verursacht gesundheitliche Probleme bei einigen Kindern, die auch ins Projekt kommen. In beiden Projekten wurden wir auch von Mitarbeitern durch die Straßenzüge geführt, die sich öfters mit Kindern oder auch Eltern unterhielten. Es war für mich sehr erschreckend, zu sehen, in welcher Armut viele Menschen dort leben.
Es ist wahrscheinlich, dass einer von uns in "Maranatha" und einer in "Yo amo la vida" mitarbeiten wird. Jetzt müssen wir uns entscheiden und das fällt mir schwer. In beiden Projekten kann ich mich gut sehen und beide haben mir gut gefallen, sowohl die Kinder dort als auch der Umgang der Mitarbeiter untereinander dort. In dem Zusammenhang steht auch der Vers aus Jeremia. Ich bin gewiss, dass - egal wie meine Entscheidung ausfällt - Gott nur das Beste für mich will.

Ich werden euch dann erzählen, wie der Christoph und ich uns entschieden haben. Außerdem werde  ich mal ein wenig ausführlicher über die Gruppe AI´M schreiben, wo wir jetzt ins Mitarbeiterteam eingestiegen sind. Letzten Freitag wurden wir dort "offiziell" vorgestellt und diesen Freitag beginnen in der Gruppe neue workshops. Ich werde einen Theaterworkshop anbieten, hab aber noch nicht so richtig die Ahnung, ob das klappt und ob ich alles auf Spanisch erklären kann.
Ich halte euch auf dem Laufenden, macht´s gut Nachbarn!

Alles Liebe und Gottes Segen
Euer Cornelius

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